Chronik


Mit der Bahn kamen die Fremden und die Kaiser

  • Das 1200 Jahre alte Elm im Wandel der Zeiten
  • Noch immer verraten Gehöfte Wohlstand
  • Landwirtschaft verliert Bedeutung

Als im 7. Jahrhundert das obere Kinzigtal von Hammelburg aus durch fränkische Bauern besiedelt wurde, entstand wahrscheinlich auch zwischen Escheberg und Hainberg im Tale des Elmbaches die Siedlung „Villa Elmaha“. Sie wurde 795 bei Schenkungen von Araho und Raho an das Kloster Fulda zum erstenmal urkundlich erwähnt. Elm gilt somit nach Altengronau (780 genannt) als das zweitälteste Dorf des Bergwinkels. Die Herkunft des Namens ist unbekannt. Die Ableitung von „Ulme“ wird neuerdings bestritten, und gegenwärtig neigt man dazu, die Ortsbezeichnung mit „Lehmwasser“ in Verbindung zu bringen.

Schon 1167 hatte das Dorf eine Kirche; denn es bildete zusammen mit Kressenbach und Hintersteinau eine Pfarrei, die von Schlüchterner Klostergeistlichen betreut wurde. Am Südwesthang des Escheberges über dem Dorf hatten die Herren von Steckelberg ein festes Haus errichtet, das nach seinen adeligen Besitzern den Namen Burg Brandenstein erhielt und 1276 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Ihre Herren übten die Gerichtsbarkeit über die Dörfer Elm, Hutten Gundhelm und Oberkalbach aus. 1316 kaufte Ulrich von Hanau das Gericht, 1442 erhielten die Herren von Eberstein die Burg und drei Viertel des Gerichts als Lehen. Ein Abkömmling in der dritten Generation, Mangold von Eberstein, brachte als Raubritter und mit einer Fehde gegen die Stadt Nürnberg die Burg in Verruf, so daß sie im Auftrag des Kaisers von Graf Rudolf von Wertheim 1522 erobert und zum Teil niedergebrannt wurde.

Elm erlebte als Dorf des Amtes Brandenstein alle Höhen, besonders aber die Tiefen der Geschichte des Hanauer Oberlandes. Schon 1303 werden neben Bauernhöfen auch zwei Mühlen und ein Weinberg erwähnt, 1597, 1625 und 1631 suchte die Pest das Dorf heim, so daß es zeitweise wie ausgestorben wirkte. Die Elmer mußten wie alle Untertanen des Hanauer Gebietes den Wechsel der Konfessionen mitmachen, wurden 1543 durch Abt Petrus Lotichius und den Einfluß der Hanauer Grafen evangelisch-lutherisch und 1596 durch ein Machtwort des Grafen Philipp Ludwig II. streng reformiert (calvinistisch), bis 1818 die Hanauer Union wieder eine einzige evangelische Glaubensgemeinschaft in der Grafschaft schuf. Von des Reiches Straße aus drangen die Soldateska des Dreißigjährigen und des Siebenjährigen Krieges sowie die Truppen des korsischen Eroberers auch nach Elm vor und brachten neben Unterdrückung und Plünderung Krankheiten, Hunger und Tod mit sich.

Die politische Zugehörigkeit des Ortes wechselte von der Grafschaft Hanau 1719 pfandweise an die Landgrafschaft, das spätere Kurfürstentum Hessen-Kassel. Diese Herrschaft wurde allerdings von 1806 bis 1810 durch eine französische Verwaltung und von 1810 bis 1813 durch die Errichtung des von Napoleon geförderten Großherzogtums Frankfurt unterbrochen. Nach dem deutsch-deutschen Krieg von 1866 erfolgte die Eingliederung in Preußen, und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit der Aufnahme Elms in das neu von der amerikanischen Armee geschaffene Großhessen ein Schlußpunkt gesetzt.

Die herausragende Stellung Elms als Bahnstation begann mit der Versammlung einer „Eisenbahn-Commission“ 1849 in Fulda, der 1863 konkrete Planungen folgten. Es wurde nicht nur eine Bahnlinie von Fulda über Elm nach Gemünden beschlossen, sondern man einigte sich auch über eine Strecke Hanau-Bebra, bei der mit der Umkopplung der Lokomotiven in Elm in einer Spitzkehre der damals noch allzu steile Landrücken überwunden werden sollte. Für die Anlage eines Eisenbahnknotenpunktes Elm waren Einschnitte in das Gelände und die Errichtung von Dämmen mit Wasserdurchlässen für den Streckenbau nötig. Geländeverschiebungen und Rutschgebiete erschwerten und verzögerten den Bau.

Arbeiter aus ganz Deutschland, aber auch aus Italien und Kroatien strömten während der Bauzeit in das ehemals stille Dorf. Nach Inbetriebnahme beider Strecken 1868 und 1872 wurden außerdem Eisenbahner nach Elm versetzt, die sich im Ort niederließen. Auch Einheimische fanden bei der Bahn neue Arbeitsplätze. Eine Lokomotivhalle, Kohlenlager, Holzschuppen, eine Pumpstation, ein Postamt, ja sogar eine Bahnhofsgaststätte entstanden. Fremdklingende Familiennamen und neue Berufe wie Bahnwärter, Weichensteller, Zugführer und Maschinenputzer traten im Bauerndorf auf. Neben acht Bahnwärterhäusern wurden im Laufe der Jahre 15 bahneigene Häuser mit 52 Wohneinheiten in der Nähe des Bahnhofs in einem neuen Ortsbereich errichtet. Höchste Herren wie Kaiser Napoleon III. (als Gefangener), Zar Alexander (als Kurgast) und Kaiser Wilhelm I. (auf der Fahrt nach Bad Homburg) passierten die Station Elm. Das Gebäck des Schlüchterner Bäckers Weitzel mundete der deutschen Kaiserfamilie so gut, daß sie sich weiter über Elm in Bad Homburg mit Schlüchterner Backwaren beliefern ließ und Bäcker Denhard, den Nachfolger Weitzels, 1908 sogar zum „Hofbäcker“ ernannte, woran heute noch ein Prachtschild am Hause Eckebäcker am Schlüchterner Heidküppel erinnert.

Nachdem Elm nun gut an das Verkehrsnetz angeschlossen war, versuchten Industrielle, die zwischen Elm und Hutten vorkommenden oligozänen Braunkohlen-, Mergel- und Tonschichten auszubeuten. Am Rande des Kohlwaldes wurde um 1870 die Zeche „Kohlenhof“ eingerichtet, die später auch als Brennstofflieferant zur Zementherstellung benötigt wurde; denn 1908 gründete die Firma Brüning die „Portland-Zementfabrik“. Der wertvolle Baustoff entstand aus dem vorzüglichen Kalkstein und Mergel, dem man etwas Röt zusetzte. Die Tagesproduktion erreichte 180 Tonnen und wurde nicht nur in Süd- und Westdeutschland, sondern auch in Holland und England abgesetzt. In den Jahren von 1909 bis 1914 benutzte die Preußische Staatsverwaltung zu 80 Prozent den Elmer Zement zum Bau des 3573 Meter langen Distelrasen-Tunnels. Doch der Konkurrenz gelang es, das Werk zu übernehmen und stillzulegen. 1933/34 wurden die Grundstücke an Privatleute veräußert, allerdings mit der Auflage, daß aus diesem Gelände nie mehr Kalk oder andere Baustoffe zu entnehmen seien. Die Braunkohlenzeche war schon 1921 nach einem Streit stillgelegt worden, die Stärke der Flöze war zu gering, und außerdem waren sie sandig-tonig verunreinigt.

Mit der Eröffnung des Distelrasen-Tunnels 1914 waren auch die Tage des Eisenbahnknotenpunktes Elm gezählt. Durch den Tunnelbau konnten nun die Züge von Frankfurt nach Bebra ohne die zeitaufwendige Umkopplung der Loks in Elm die Strecke durcheilen, und auch auf der Linie Fulda-Gemünden fiel die Haltestation Elm weg. So kehrte das Dorf allmählich wieder zu seiner mehr ländlichen Struktur zurück. Doch ein Eisenbahner-Musikverein und ein Eisenbahner-Sportverein erinnern noch heute an jenes verkehrstechnische Intermezzo um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Mit Wirkung vom 1. Dezember 1969 schloß sich Elm freiwillig der Kreisstadt Schlüchtern an und ging nach der Kreisreform von 1974 mit der Bergwinkelstadt in den Großkreis Main-Kinzig mit Hanau als Kreisstadt auf. Das Gewerbegebiet von Schlüchtern im Elmbachtal rückt inzwischen immer näher an Elm, so daß schon viele eine Bedrohung der noch intakten Natur des Tales befürchten.

Nach Eisenbahn, Braunkohlengrube und Zementwerk verliert auch die Landwirtschaft immer mehr an Bedeutung. Viele Elmer haben im Schlüchterner Raum oder als Pendler im Hanauer Unterland, ja in Frankfurt am Main einen Arbeitsplatz gefunden und nutzen ihr Heimatdorf nur noch als Wohnstätte. Aber noch immer thront am Zusammenfluß von Elm- und Schwarzbach Burg Brandenstein über der 1200 Jahre alten „Villa Elmaha“, und ihre Besitzer, die zufällig – oder durch den Kauf auch beabsichtigt – ebenfalls den Namen Brandenstein tragen, sind Nachkommen des Luftschiffbauers Graf Zeppelin. Sie können im Jubiläumsjahr des Dorfes die hundertjährige Besitznahme der Burg feiern. Auf dem „Dornröschenschloß“ hat die Burgherrin Isa von Brandenstein ein Holzgeräte-Museum eingerichtet, das jährlich viele Besucher auf die Burg lockt. So erinnern Dorf und Burg in vertrauter Nachbarschaft an hanauische, kurhessische und preußische Geschichte.

ALFRED KÜHNERT

Elmer Wappen